Das Kirchengebäude und seine Geschichte

Kleiner Kirchenführer

Die ursprüngliche Kirche
Am Rande der Stadt Vaihingen zwischen dem Bahnhof der Nebenbahn und den Weinbergen baute die katholische Kirchengemeinde Mühlacker, zu der auch Vaihingen gehörte, in den Jahren 1936/37 eine Kirche. Aus heutiger Sicht ist es kaum mehr nachvollziehbar, wie eine kleine Teilgemeinde von nicht einmal 200 Katholiken diese Aufgabe angehen und bewältigen konnte.

Die wirtschaftliche und politische Lage war ungünstig. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg standen in Deutschland die Entfaltung politischer Macht und die Aufrüstung im Vordergrund. Selbst Baumaterial war knapp, da es vordringlich für Wehranlagen wie den Westwall benötigt wurde. Der Lebensstandard war trotz der guten Beschäftigungslage nieder. Ein einfacher Bauarbeiter verdiente etwas mehr als 200 RM im Monat, ein Betriebsleiter in einer Ziegelei etwa 320 RM. Der Lebensunterhalt war sehr teuer. Ein Laib Brot kostete zum Beispiel ½ RM. "Schwere Zeiten" schrieb deshalb ein Schreiner mit seinem Bleistift auf die Rückseite eines der Holzbretter der Empore, das bei einem späteren Umbau entfernt wurde.
Welche persönlichen Opfer notwendig waren und mit welchem Engagement die kleine Kirchengemeinde ihren Kirchenbau betrieb, verdeutlichen zwei Zahlen, die im Verhältnis zu den genannten Löhnen zu sehen sind: Die Baukosten beliefen sich auf 60 000 RM. Davon brachte die Kirchengemeinde 17 000 RM in Form von Spenden auf.
Planung und Bauleitung lagen in den Händen von Dr.-Ing. Alfred Schmidt, Regierungsbaumeister in Stuttgart. Sein Entwurf war einer Kirche angemessen und vermied jeden Anklang an das Monumentale, das bei staatlichen Gebäuden des Dritten Reiches üblich war. Gebrochene Kalksteine aus den Steinbrüchen der Region, Klinker und Holz sind die dominierenden Werkstoffe, die zum Bau der Kirche verwendet wurden.
Kunstvoll gemauerte Friese sowie Fenster- und Türgewänder zieren die Fassaden. Die Hauptfassade mit dem Eingang und die nach Südwesten gerichtete Längsfassade sind in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Strenge geometrische Formen und eine ebenso strenge Symmetrie bestimmen sowohl das Äußere als auch das Innere der Kirche.
Im Innern finden wir wiederum solide handwerkliche Arbeiten: gemauerte Klinkerfriese, eine mit einfachen Mitteln gestaltete Holzdecke und im gleichen Stil die hölzerne Empore. Zu beachten sind auch die Konsolsteine, die im Chor mit den Symbolen der vier Evangelisten künstlerisch gestaltet sind. Diese Steine sind wie die Fenstergewänder aus Beton hergestellt, der durch Klinkerzuschläge seine Farbe erhält.
Die Fenstergewänder wurden bei der Renovierung im Jahr 1969 ebenso wie die Konsolen im Kirchenschiff gestrichen, um der Kirche etwas von der Schwere zu nehmen, die ihr die vielen dunklen Baustoffe verliehen. In der ursprünglichen Kirche waren einfache Bänke aus Fichtenholz aufgestellt, die nicht ganz 160 Sitzplätze boten. Die Bänke standen auf Holzpodesten. Darunter war der Lehmboden des Bauplatzes. Der Fußboden der Gänge, die gleich breit wie die heutigen Gänge waren, war mit Solnhofner Platten belegt.
Die ursprünglichen Fenster sind auf der linken Kirchenseite und im Chor vollständig erhalten. Rechteckige bleigefaßte Antikgläser, vorwiegend in den Farben Gelb und Braun, vereinzelt auch in Blautönen, geben dem einfallenden Licht eine warme Farbe.
Der Altarbereich des Jahres 1937 ist heute nur noch zu erahnen. Das untere Klinkerfries im Chor markiert seine Bodenhöhe, die sechs Stufen über dem Schiff lag. Von dort führten nochmals zwei Stufen zum Hochaltar. Die gerade Wand, die den Chorraum nach vorn abschließt, trug ein Gemälde, das Christus umgeben von Engeln und Heiligen, unter ihnen der Kirchenpatron, Antonius von Padua, zeigte. Dieses Gemälde ist durch Ausblühungen der Kirchenwand im Laufe der Zeit völlig zerstört worden. Vom ehemaligen Hochaltar ist der Tabernakel erhalten, der heute in der vorderen linken Abschlußwand des Kirchenschiffes eingelassen ist.
Die Kirche wurde im Dezember 1937 geweiht, war aber wegen der hohen finanziellen Belastungen der Gemeinde noch nicht vollständig. Die Empore war leer, eine Orgel konnte erst 1948 eingebaut werden.
Nach dem Krieg erhielt die Kirchengemeinde zwei Glocken. Die kleinere dieser Glocken wurde 1715 gegossen. Sie stammt aus Steinmark in den ehemals deutschen Ostgebieten und war von den Machthabern im Zweiten Weltkrieg zwar eingezogen, aber nicht wie viele andere zum Bau von Granaten verwendet worden. Die Glocke ist an die Vaihinger Kirchengemeinde ausgeliehen. Die etwas größere Glocke ist 1927 als Kriegs-Ersatz-Glocke in Villingen gegossen worden. Das kleine Geläut mit den Schlagtönen b' und des'' ist von außen zu sehen, da der Glockenstuhl offen ist.
• Umgestaltung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) hat sich in der Liturgie auf alte christliche Traditionen besonnen. Mittelpunkt der Messe ist die gemeinsame Feier des Abendmahls. Die Gemeinsamkeit bei der Feier zeigt sich in der Stellung des Altares inmitten der Gemeinde und in der Hinwendung des Priesters zur Gemeinde. Die Verkündigung hat ein stärkeres Gewicht erhalten. Dem Altar, dem Tisch des Sakraments, wurde deshalb der Ambo, der Tisch des Wortes, zur Seite gestellt. Der Tabernakel verlor den zentralen Platz, den er seit der Barockzeit innehatte. Wie in alten romanischen oder gotischen Kirchen steht er heute in der Regel auf einer Stele oder ist in die Wand eingelassen.
Eine der neuen Liturgie angemessene Umgestaltung der St.-Antonius-Kirche stand an. Das langgezogene Rechteck des Kirchenraumes, der recht schmale und kleine Chorraum und der unter dem Chor liegende Heizraum engten den Spielraum dafür sehr stark ein. Dennoch wurde der Chorraum 1968 umgebaut. Das Anliegen war es wert, auch bei schwierigen Verhältnissen eine Lösung zu finden. Um Platz für einen Altar, an dem der Priester mit Blickrichtung zur Gemeinde zelebrieren konnte, zu gewinnen, wurden die Stufen zwischen Schiff und Chor überbaut. Ein feingliedriger Ambo aus Bronzeguß stand auf der rechten Seite, etwas tiefer als der Altar. Der alte Hochaltar mußte abgebrochen werden. Ein neuer Altar wurde von Siegfried Haas gestaltet. Dieser Altar steht in leicht geänderter Form heute noch in der Kirche. Über dem Altar schwebte die Figur des Auferstandenen, eine Bronzeplastik, ebenfalls von Siegfried Haas. Sie ist heute an der vorderen Abschlußwand angebracht.
Im Rahmen der Umgestaltung erhielt die Kirche einen Kreuzweg, dessen Herkunft ungewiß ist. Die farbig gefaßten Kacheln zeigen in einfachen, eindringlichen Bildern den Leidensweg Christi. Der Kreuzweg war früher auf der linken und der rechten Wand des Kirchenschiffes angebracht. Heute ist er in die linke Seitenwand eingelassen. Die Reihe der vierzehn Stationen beginnt im hinteren Teil der Kirche.
• Vorüberlegungen für eine Sanierung und Erweiterung
Die unbefriedigende liturgische Situation, technische Probleme und die sehr stark wachsende Gemeinde warfen am Ende der achtziger Jahre erneut die Frage nach einer Veränderung der Pfarrkirche auf. Der Kirchengemeinderat hat sich gegen den Neubau einer Kirche entschieden. Viele Menschen verknüpfen mit dem Kirchengebäude Erinnerungen an ihren eigenen Lebenslauf, an freudig erlebte Feste, an traurige Begebenheiten, aber auch an Alltägliches. Einen solchen Bezugspunkt soll man nicht leichtfertig aufgeben. Hinzu kamen wirtschaftliche Überlegungen und die Tatsache, daß die Kirche seit 1978 als allgemeines Kulturdenkmal geschützt ist.
Wie bereits erwähnt, hatte die bauliche Situation eine Umgestaltung im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils nur im Ansatz zugelassen. Die liturgische Situation war deshalb unbefriedigend, zumal sich die Gemeinde an der Gestaltung der Gottesdienste intensiv beteiligte.
Akute technische Probleme zwangen zum Handeln. Die Kirche mußte nach mehr als 50 Jahren dringend saniert werden.
Ein weiterer Aspekt war zu bedenken: Die Stadt Vaihingen wuchs nach dem Krieg sehr stark. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zählte die Kernstadt etwa 3500 Einwohner, fünfzig Jahre später waren es 8500. Anfang der neunziger Jahre wohnten in der Kernstadt und Roßwag, dem Einzugsbereich der St.-Antonius-Kirche, 2800 Katholiken. Dieser großen Zahl standen 160 Sitzplätze in der Kirche gegenüber. Das ist selbst bei schwach besuchten Gottesdiensten zu wenig. Zu bedenken war auch der immer stärker werdende Priestermangel, der schon in wenigen Jahren dazu führen kann, daß in der Pfarrei Vaihingen an Sonntagen die Zahl der heiligen Messen stark eingeschränkt werden muß.
Der Kirchengemeinderat entschied sich einstimmig dafür, das Bauwerk zu sanieren, den Altarraum für eine zeitgemäße Liturgiefeier umzugestalten und das Platzangebot in der Kirche um etwa 25 % zu erhöhen. Die bestehende Kirche sollte trotz der notwendigen Eingriffe in das Bauwerk soweit wie möglich geschont werden.
Der Bau der Kirche stand von vornherein in engem Zusammenhang mit dem Umbau des Gemeindesaals. Kirche und Gemeindezentrum sollten ein Ensemble bilden. Hinzu kam, daß während des Umbaus der Kirche ein Ausweichraum für die Gottesdienste zur Verfügung stehen mußte. Deshalb hat der Kirchengemeinderat einen Architekten gesucht, der ähnliche Probleme gut gelöst hat. Die Wahl fiel auf Helmut Krisch, Architekt in Tübingen.
Nach dem erfolgreichen Umbau des Gemeindesaals, der 1992 in Betrieb genommen wurde, konnte der Bau der Kirche detailliert geplant und mit dem Denkmalamt abgestimmt werden.
Bestimmend für eine Kirche sind neben der Größe und Gestaltung des Raums auch die bildhauerischen Elemente, wie Altar, Ambo, Leuchter, Skulpturen usw. Der Kirchengemeinderat entschied sich dafür, Siegfried Haas darum zu bitten, seine Arbeiten aus dem Jahr 1968 fortzuführen. Er hat sich erneut mit der Pfarrkirche St. Antonius auseindergesetzt und durch den geänderten Altar, den neuen Ambo und andere bildhauerischen Elemente dem Raum Würde verliehen.
Die Fenster sind für eine Kirche von besonderer Bedeutung. Sie sollen einerseits den Blick nach draußen verstellen und so der inneren Sammlung des Betenden dienen, sie sollen andererseits das Licht hereinlassen und durch Form und Farbe der Gläser eine eigene Atmosphäre schaffen. Es war also naheliegend, den Fenstern im Neubau besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Nach der Besichtigung verschiedener Arbeiten betraute der Kirchengemeinderat Diether Domes aus Langenargen mit der künstlerischen Gestaltung der Fenster. Auch ihm war dieselbe Aufgabe wie dem Architekten und dem Bildhauer gestellt: Altes und Neues zu einem neuen Ganzen zu verbinden und trotzdem zu zeigen, daß sich Fühlen, Denken und Handeln der Menschen im Laufe von 50 Jahren gewandelt haben.
• Der Umbau der Kirche
Nach den notwendigen Vorarbeiten konnten die eigentlichen Bauarbeiten im November 1994 beginnen. Architekt Jörg Förnzler aus Vaihingen hat die Arbeiten vor Ort geleitet. Die Bauarbeiten stellten an die Architekten, Ingenieure und die Handwerker große Anforderungen. Die schwierigste Aufgabe war, die Standsicherheit des Gebäudes während des Rohbaus zu sichern. Wer heute den Innenraum betrachtet, kann sich gut vorstellen, wie groß der Eingriff in das Bauwerk war: Eine Seitenwand, die der Kirche Stabilität verlieh, mußte ganz ausgebrochen werden. Setzungen des Dachstuhles und der verbleibenden Wandteile mußten vermieden werden. Die Klinkerfriese und die Konsolsteine durften nicht zu Schaden kommen. Der Statiker, Dipl.-Ing. Helmut Beigel aus Vaihingen, hat eine gute Lösung für die Bauzeit und für die umgestaltete Kirche gefunden, bei der auf zusätzliche Stützen unter dem großen Unterzug verzichtet werden konnte. Das ist von unschätzbarem Vorteil für die Wirkung und Geschlossenheit des Raums.
Die Bauarbeiten konnten nach relativ kurzer Bauzeit abgeschlossen werden. Schon am dritten Advent 1995 feierte die Gemeinde die Wiedereröffnung in einem feierlichen Gottesdienst.
Die gesteckten Ziele wurden erreicht. Die Kirche ist heute einladender und größer. Der Bezug der Gemeinde zum Altar entspricht dem heutigen Liturgieverständnis. Wer den Raum betritt spürt, daß er in einem Gotteshaus ist.
Die Kirche des Jahres 1937 hat sich gewandelt. Vertraute Dinge sind geblieben, manches mußte geändert werden, Neues ist hinzugekommen. Das soll symbolisch für die ganze Gemeinde sein, die auf ihrem Weg durch die Zeit immer wieder Vertrautes in Frage stellen muß, um sich der Gegenwart anzunähern, was das große Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils war.

Othmar Booz, Vaihingen